KOLLEGIUM DER MITTLER FÜR DIE AFRIKANER DER RUE PAJOL
Wir sind von den anfangs in der Kirche Saint-Ambroise, dann im ehemaligen Warenschuppen der französischen Staatsbahnen in der rue Pajol untergekommenen Afrikaner ersucht worden, uns für sie als Mittler zu den Behörden zu betätigen. Wir haben zuerst versucht, für jene zu intervenieren, die bei rigorosem Einhalten der Menschenrechte eine Aufenthaltsbewilligung erhalten sollten.
Wir haben diese Schritte vor einigen Wochen unternommen, als mehrere Dutzend Afrikaner in einen Hungerstreik getreten waren und Afrikanerinnen das Rathaus des 18. Stadtbezirks besetzt hatten. Diese Aktionen zeigten die äußerste Entschlossenheit der betroffenen Personen, aus der Illegalität herauszutreten.
Unsere Schritte bei den Regierungsstellen haben leider zu einem unannehmbaren Ergebnis geführt, da nur wenige Fälle regularisiert werden konnten.
Was die betrifft, deren Gesuche abgelehnt worden sind, sowohl all jene, die weit zahlreicher sind und illegal in Frankreich leben müssen, stoßen wir auf die absurden Verfügungen der heutigen Gesetze und die untragbare Politik Frankreichs den Ausländern gegenüber.
Wir waren bestrebt, die Frage der Ausländer in ihrer Gesamtheit aufzuwerfen, und wir
haben die Regierung aufgefordert, aufgrund folgendesTextes eine radikal erneuerte Einwanderungs- und Asylpolitik zu beschließen.
FüR EINE GRUNDLEGEND NEUE AUSLÄNDERPOLITIK
Die heutigen Gesetze bilden ein aus der Vergangenheit übernommenes und immer wieder in einem stets restriktiveren Sinne zurechtgestutztes Ganzes und zeichnen die Umrisse einer Politik, die ein systematisches Mißtrauen den Ausländern gegenüber ausdrückt. Diese Politik führt zu einer fortschreitenden Gefährdung des Integrationsprozesses, der bisher den Mittelpunkt des französischen Systems bildete und seine Originalität ausmachte.
Die wirtschaftliche und geistige Krise der entwickelten Geselllschaften führt zu einem immer stärkeren unüberlegten Angstgefühl, das einen beängstigenden Anstieg des Rassismus und der Fremdenfeindlichkeit zur Folge hat. Das Gespenst der Invasion und der Gedanke einer Gefährdung unseres "Wohlstands", der rein national wäre, bilden den Grundstock der rechtsradikalen Ideologien. Die verantwortlichen Politiker wagen es nicht, dieses Gedankengut, das allmählich das nationale Gewissen untergräbt, frontal anzugreifen und nehmen eine defensive Haltung ein, die die Furcht vor den Eindringlingen von außen und die Jagd auf die Illegalen im Inneren rechtfertigt. So verhärten sich rapide Gesetze und Verwaltungspraxis in der Hoffnung, daß das im wörtlichen Sinne abstoßende Gesicht Frankreichs "das ganze Elend der Welt" außerhalb der Grenzen belassen werde. Und das Problem der Einwanderung wird im politischen Leben in Frankreich sowie in ganz Europa als Kampfthema mißbraucht.
So hat die Zahl derjenigen, deren Asylrecht anerkannt wurde, erheblich abgenommen, und so stark ist die abschreckende Wirkung dieser Politik, daß die Zahl der Bewerber ihrerseits zurückgeht, obwohl die Verletzung der politischen Grundrechte in der Welt offensichtlich nicht abgenommen hat, ganz im Gegenteil. Der Begriff des Asyls wird auf diese Weise seinem Zweck entfremdet. Er wird eher auf den vermeintlichen Nutzen des Gastlandes gegründet als auf die Tatsache der Verfolgung und das Interesse des Bewerbers. Das Schengener Abkommen hat das Zusammenwirken der europäischen Staaten mit dem Ziel, die Aufnahme der verfolgten Ausländer strikt zu begrenzen, deutlich gemacht und verstärkt.
Dieselben Gesetze verbieten es, ältere oder geringfügige Übertretungen zu annullieren und machen eine spätere Regularisierung unmöglich. Sie tragen der wirklichen Lage in den Ursprungsländern keine Rechnung (z.B. aufgenommene, aber nicht adoptierte Kinder). Sie erzeugen eine systematische Verdächtigung, besonders bei der Eheschließung mit einem/er Franzosen/zösin. Kinder von Ausländern, selbst wenn sie legal in Frankreich leben, haben meistens keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, oft nur einen Ausweis als Studenten, während der Zuzug von ausländischen Studenten von Tag zu Tagproblematischer wird. Der bedeutende Reichtum, den für die französischen Universitäten die Gegenwart zahlreicher ausländischer Studenten darstellte, ist im Verschwinden begriffen, was sich langfristig negativ auf die internationalen Beziehungen des Landes auswirkt sowie auf die Verbreitung der französischen Sprache und Kultur in der Welt. Die in Frankreich geborenen Kinder kommen oft nicht in den Genuß der Möglichkeit, bei ihrer Volljährigkeit Franzosen zu werden, wenn ihren Eltern der Aufenthalt verweigert wird, oder wenn diese ihre Kinder nicht in Frankreich lassen können oder wollen. Schließlich führt die Unmöglichkeit, den Elternteilen französischer Kinder oder den Ehepartnern von Franzosen, die sich illegal in Frankreich befinden, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, aber ebenfalls sie auszuweisen, zu absurden und gefährlichen Situationen, zu einer Unsicherheit, die ihrerseits ein Abdriften zu noch gefährlicheren Maßnahmen ermöglichen.
Dennoch ist nicht zu bestreiten, daß zahlreiche ausländische Arbeitnehmer zur Illegalität verurteilt sind, obwohl die Wirtschaft sie benötigt. Sie werden dem Publikum als Sündenböcke für die Schwierigkeiten der Gesellschaft vorgeführt, und einige werden unter den grellen Scheinwerfern der Medien abgeschoben. Diese Situation wird fortdauern, solange die Verwaltung sich nicht die Mittel verschafft, die Verwendung von Schwarzarbeit zu kontrollierren und zu unterdrücken, insbesondere durch einen Ausbau der "inspection du travail" (Arbeitsämter). Und sie ist folgenschwer sowohl für die anderen Arbeitgeber, die einem unlauteren Wettbewerb ausgesetzt sind, wie für die Arbeitnehmer, deren Lebensbedingungen durch das Bestehen eines "parallelen" Arbeitsmarktes erschwert werden.
Die Asyl- und Einwanderungspolitik, die Teil des vierten Abschnittes der Vertrages von Maastricht ist, d.h. daß für sie die Regierungen und nicht die Gemeinschaft zuständig sind, wird als gemeinsame Aufgabe betrachtet. Die Rolle des europäischen Parlaments ist dabei von geringer Bedeutung und der europäische Gerichtshof ohne Befugnis. Diese Lücken geben Frankreich die Möglichkeit, durch Vorschläge tätig zu werden. Anstatt sich einer gemeinsamen Politik zu fügen, die für unser Land einen Rückschritt bedeutet, schuldet Frankreich seiner besonderer Tradition, neuartige gemeinsame Schritte zugunsten der Menschenrechte und der Rechte der Flüchtlinge vorzuschlagen. Diese Schritte könnten in Vorschlägen für Abkommen bestehen, die die Maßnahmen zur Familienzusammenführung in Einklang mit der europäischen Charta zur Bewahrung der Rechte und der Freiheiten in Einklang brächten, die das Prinzip der Nichtabschiebung derjenigen Asylbewerber bekräftigten, deren Gesuch mit den Grundsätzen des Asylrechtes übereinstimmt, die eine gemeinsame Politik gegen den organisierten Menschenhandel einleiteten. Diese Abkommen müßten die Zuständigkeit des europäischen Gerichtshofs vorsehen. Schließlich müssen im Rahmen des Abschnitts V des Vertrages von Maastricht, der die Außenpolitik betrifft, energische gemeinsameSchritte unternommen werden, um unsere Politik gegenüber den Auswanderungsländern deutlicher zu bestimmen und mit Methoden der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu brechen, in die sich Frankreich seit Jahren verfahren hat und die erwiesenermaßen nicht zur Entwicklung dieser Gesellschaften und folglich zur Einschränkung der Wanderungen beitragen.
Schließlich wäre es höchste Zeit, die eingegangenen internationalen Verpflichtungen im Bereich des Schutzes des Einzelnen und der Beachtung der Menschenrechte ernst zu nehmen. Frankreich rühmt sich selbstzufrieden seiner spezifischen Rolle auf diesem Gebiet. Aber da die internationalen Abkommen keinerlei Zwang vorsehen und die Anwendungsmaßnahmen lückenhaft sind, ist es leicht, durch Gesetze und mehr noch durch die Verwaltungspraxis Verpflichtungen zu unterlaufen, die nur in Worten eingehalten werden. Und doch schmeichelt sich Europa, inbesondere mittels der europäischen Konvention über Freiheit und Menschenrechte, der Welt als Vorbild zu dienen. Es kann nicht länger das Prinzip der Menschenrechte, die universelle Geltung beanspruchen, mißachten und allein den europäischen "Bürgern" die Vorteile dieser Konvention vorbehalten, die, im Gegensatz zu den weltweiten Bestimmungen, einklagbar sind.
Die öffentliche Entwicklungshilfe wird seit vielen Jahren nach Maßstäben der politischen Oportunität verteilt, ohne Rücksicht auf die Bedingungen einer menschlichen Entwicklung. Die steigende Verschuldung hat gewisse Länder unter den allerärmsten dazu gebracht, mehr Geld zur Tilgung dieser Last aufzuwenden als sie zu ihrer Entwicklung erhalten. Die dauernde Unordnung, die auf den Rohstoffmärkten herrscht, besonders auf denen für tropische Produkte, hat die Verschuldung noch verschlimmert. Die lang währenden Konflikte, die oft die ärmsten Gebiete heimsuchen, die Interessen der Waffenlieferanten an diesen Konflikten, sind indirekt aber in erheblichem Maße für die dauerhaften Migrationen verantwortlich. Die Antipersonen-Minen, deren Handel nicht untersagt ist, erschweren die Rückkehr der Bauern auf weite, normalerweise landwirtschaftlich genutzte Flächen, was zum Zusammenbruch gewisser Volkswirtschaften nach dem Ende der Kriege beiträgt.
Im Bewußtsein, daß mit der Würde der Ausländer auch unsere nationale Würde auf dem Spiel steht, rufen wir nach diesen Feststellungen abschließend zu einem radikalen Wandel der französischen Politik auf, um der gegenwärtigen, verheerenden Lage ein Ende zu setzen, die Elend und Ungerechtigkeit erzeugt, zur Negierung der grundlegenden Menschenrechte führt, sowie zu einer Anarchie in der Verwaltung, die die Betroffenen verunsichert und benachteiligt.
Eine neue Behandlung der Ausländerfrage, die für alle klar und einsichtig sein soll, muß sich durch von Grund auf veränderte Gesetze ausdrücken, sowie durch eine energische Initiative auf europäischer Ebene und eine wirklich erneuerte Politik der Zusammenarbeit mit den Auswanderungsländern.
Sie setzt voraus :
Sie muß beruhen auf :
Es müssen daraus folgen :
Sie muß umfassen :