Süddeutsche Zeitung | [pajol] |
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ES ist jetzt wieder die Zeit gekommen, in der viel die Rede ist vom Stall zu Bethlehem und von der Herbergssuche. Ich weiß nicht, wie es dabei den Politikern ergeht, die für die Kastration des Asylrechts verantworlich sind, mit der Weihnachtsgeschichte ergeht. Ich weiß nicht, wie es einem christlichen Politiker im Weihnachtsgottesdienst ergeht, wenn er kurz zuvor noch aufenhaltsbeendende Maßnahmen gegen Flüchtlinge durch gesetzt und exekutiert hat. Im weihnachtlichen Krippenspiel gibt es, wie Sie wissen, den Wirt, der Maria und Josef die Herberge verweigert. Es gibt heute in Deutchland, es gibt heute in Frankreich, es gibt heute in der Europäischen Union sehr viele und sehr barsche Wirte, die bei der Hervergssuche der Moderne Schutz und Hilfe verweigern. Die Wirte von heute heißen Günter Beckstein, wie der bayerische Innenminister, sie heißen Klaus Landowsky oder Jörg Schönbohm; die Wirte von heute sind Innensenatoren und Minister, Oberregierungsräte, Verwaltungsrichter und Bundesverfassungsrichter. Und die Hirten von heute, die Nachtwache halten - das sind Menschen und Initiativen wie die, die wir heute ehren: Die Coordination National de Sans-papiers und ihre Sprecherin Madjiguène Cissé. Sie ziegen, wie ein zäher Widerstand heute ausschauen kann, wie er ausstrahlen kann. Ihr Widerstand hat den sogenannten Illegalen Selbstbewußtsein und Kraft gegeben.
Vielleicht erinnern Sie sich : Ende Februar 1997 haben rasistische Äußerungen der negewählten Bürgermeiterin von Vitrolles in Frankreich großen Wirbel ausgelöst. Die rechtsradikale Politikerin der Nationalen Front des Jean Maire Le Pen sprach von den " genetischen Unterschieden zwischen den Rassen " und den Konsequenzen, die sie daraus politisch ziehen wolle: " Wir werden allen Einwanderern sofort sämtliche Beihilfen entziehen und das Geld den Franzosen geben...Sie werden sehen, wie schnell die hier verschwinden, denn sie sind ja nur wegen des Geldes hier ". Zu den Befürchtungen vieler Bürger Vitrolles sagte sie: " Diese Einwanderer haben recht, wenn sie Angst haben. Dafür sind wir gewählt worden ".
Empörun herrschte in der Öffentlichkeit, in Frankreich, in Deutschland, auch bei den deutschen Politikern. Diese Reaktion war schön und gut, aber vielleicht auch ein wenig unehrlich und pharisäerhft. Die französischen Rechtsradikalen haben das genüßlich demonstriert. Sie stehen ja durchaus nicht allein mit somchen Gedanken - andere äußern sie nur nicht so krass.
Da gab es im Frühjahr 1996 eine bezeichnende Szene im Europa-Parlament. Da stellte ein Redner vom Front National des Jean Marie Le Pen immer wieder die gleiche Frage im Straßburger Auditorium: " Wer hat das gesagt? " Er ließ dann jeweils ein Zitat folgen und dann, nach einer kleinen Kunstpause und mit hämischer Genugtuung,k folgte die Auflösung des Rätsels: " Nein, das stammt nicht von Le Pen, sondern von Hernn Glos, dem CSU-Landesgruppenchef im Deutschen Bundestag. - "Nein das stammt nicht von einem Politiker des Front National, sondern vom Finanzminister (Anmerkung: Es war noch Waigel) der Bundesrepublik Deutschland ". - "Nein, nicht Jean Marie Le Pen hat das erklärt, sondern Bundeskanzler Kohl? " Und " Auch dieser Satz kommt nicht aus den Reihen des Front National oder dem Vlaams Blok, sondern von Klaus Zwickel, dem Vorsitzenden der IG Metall ".
Der rechtsradikale französische Europa-Abgeordenete Jean-Yves Le Gallou zitierte deutsche Stellungnahmen wie die nachfolgende, die seiner Meinung nach genauso gut von seinem Chef Le Pen hätte stammen können : " Wir können nicht akzeptieren, daß Millionen unserer Bürger arvbeitslos sind und gleichzeitig Hunderttausende ausländischer Arbeitskräfte eine Arbeitserlaubnis erhalten ". Die Zitatensammlung war der Beitrag des Front National anläßlich der Debatte zur Eröffnung des Europäischen Jahrs gegen Rassismus, zu dem die EU aufgerufen hatte. Le Gallous Rede gipfelte in dem Satz, daß man nicht den Ideen des Anti-Rassismus nachrennen solle, sondern die Einwanderung bekämpfen und den nationalen Interessen Vorrang geben. Also : Nicht den Ideen des Anti-Rassismus nachlaufen, die nationalen Interesen haben Vorrang. Das kennen wir in Deutschland auch.
" Heuchelei " stand auf den Plakaten, als Anfang März diesen Jahres hier in Berlin für Deutschland das Europäische Jahr gegen Rassismus eröffnet wurde. Und auch das war nicht falsch. Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen hatte von der " Selbstverständlichkeit des Miteinander " zwischen Ausländern und Deutschen in Berlin geredet; und exakt an dieser Stelle der Rede waren die Heuchelei-Transparente entrollt worden. Es gehört nämlich ganz sicher nicht zur " Selbstverständlichkeit des Miteinander ", sondern zur offensichtlichen Selbstverständlichkeit des Rassismus in der Politik, wenn Sätze gesagt werden können wie dieser: " Krimineller Abschaum ist mit den Ausländern aus Rußland, Rumänien, Libanon, China und Vietnam " nach Deutchland gekommen und " versammelt sich nun in der ersten Metropole des früheren freien Westens ". Und es gehört sicher auch nicht zur " Selbstverständlichkeit des miteinander " wie folgt zu formulieren: " Wo Müll ist, sind Ratten, und wo Verwahrlosun herrscht, ist Gesindel ", das entfernt werden muß.
Nicht der rechtsextreme Gewalttäter und Mörder vom " weiben arischen Widerstand " hat das bei seiner Festnahme aufgesagt. Die Sätze sind auch nicht beim nationalen Info-Telephon oder aus der " Jungen Freiheit " abgeschrieben. Sie wurden bekanntlich vorsätzlich und öffentlich gesprochen im Abgeordnetenhaus der deutschen Hauptstadt, in einer vorbereiteten Rede des Fraktionsvorsitzenden der Berliner Christdemokraten, Klaus Landowsky.
Bundespräsident Roman Herzog hatte schon recht, wenn er in seiner Berliner Rede zur Eröffnung des EU-Jahres gegen Rassismus darüber klagte, daß der Rassismus schon bei der Sprache anfängt. Aber wie schwer es offenbar ist, sich daran zu halten, hat er selbst demonstriert. Da hatten ihn eine junge griechische Deutsche und ein junger türkischer Deutscher sehr eloquent und sehr herzlich auf der Bühne begrüßt - und kurz darauf sprach der Bundespräsident von einem " Gastrecht " der Ausländer in Deutschland, das man durch Straftaten verwirken könne.
Wir haben uns an den Sprachgebrauch fast gewöhnt. Er gehört, zu den Steeotypen politischer Argumentatio : Mißbrauch des Gastrechts. Wir Straßen besetz, Kirchen besetzt, wer sich gegen Festnahme und Abschiebung wehrt, wer sich in höchster Verzweiflung mit Benzin überschüttet und anzündet, wer also verzweifelt ist und sich hysterisch aufführt, der benimmt sich nicht so wie ein Gast sich zu benhmen hat. Und was macht man mit einem Gast, der durchdreht? Man kimplimentiert ihn vor die Türwenn er nicht freiwillig geht, dann wirft man ihn hinaus. So hat die öffentliche Meinung auf die zum Teil gewalttätigen Aktionen der Kurden reagiert, und so hat es auch die Politik kommentiert : Die strafbaren Verfehlungen des Gastes deien ja offenkundig.
Es gehoört zu den großen politischen Leistunen der Bewegung Sans papiers, daß sie diesen Argumentationszyklus durchbrochen hat. Sie hat es geschafft, ein öffentliches Netzwerk und breite öffentiche Unterstützung aufzubauen.
Um noch einmal in diesem gastlichen Bild zu bleiben, also im Bild, wonach der Ausländer nur Gast sei. Wie hat sich der Gastgeber verhalten? Zum Beispeil der Gasgeber Bundesrepublik Deutschland? Sie hat Waffen geschickt in das Land, aus dem der Gast gekommen ist. Sie hat es zugelassen, daß diese Waffen (in türkisch Kurdistan) gegen die Familie seines Gastes gerichtet wurden. Der Gastgeber hat die Augen davor verschlossen, was mit den Freunden und Bekannten seines Gastes geschah: Er hat es zugelassen, daß man ihre Spache verbot. Er hat die Ankündigung der Militärs nicht hören wollen, das Kurdenproblem blutig zu lösen. Und als dies in die Tat umgestzt wurde, verhielt sich Deutschland gaz still. Sas ist die andere Seite des Bildes vom Gast und vom Gastgeber. Viele der vierhunderttausend Kurden in Deutschland leben sit Jahrzehnten hier, ihre Kinder sind hier georen und aufgewachsen. Gäste? Es sind Deutsche kurdischer Volks- und (des noch geltenden antiquierten Staatsbürgerschaftrechts wegen) türkischer Staatsangehörigkeit.
Politik kann manchmal schon sehr armselig sein, Sie schafft es, selbst noch in einem Kind den politiscen Gegner zu erblichen. Und desen Gegner behandelt man dann entsprechen - nämlich rigoros und unerbittlich. Man macht desen Gegner beinah zum Staatsfeind, wie dies in Bayern mit dem straffälligen 14 jährigen " Mehmet " gemacht worden ist, man häuft seine Untaten über ihn, bis man nicht mehr sieht, wer sich dahinter verbirgt : Nicht der apokalpytische Reiter, sondern ein mißratenes Kind. Bayerische Politiker haben den Fall Mehmet mißbraucht, um eine für die Demokratie gefährliche Narretei aufrecht zu erhalten, wonach der Ausländer ein Ausländer bleibt, ein bloßer Gast, auch wenn er hier geboren und aufgewachsen ist.
Wie heißt es in der UN-Kinderkonvention: Kindern muß angemessener Schutz zuteil werden. Die Behörden haben sich keinen Deut darum gekümmert, was aus Mehmet nach der Abschiebung wird. Sie können beschwichtigen : Deutxchland ist der Konvention ja auch nur unter Vorbehalt beigetreten.
Wer die deutsche Asyl- Flüchtlings- und Ausländerpolitik der vergangenen fünfzehn, zwanzig Jahre verfolgt, der fragt sich immer wieder : Was muß eigentlich noch passieren? In Frankreich hat die neue Phase der Auseinandersetzung schon begonnen: Am 18.Ma¨rz 1996 bestzten 300 Westafrikanerinnen und Westafrikaner die Kirche von Saint-Ambroise im 11.Arrondissement von Paris. Die Besetzer von St. Ambroise, die später als die " Sans Papiers von St Bernard Berünhmtheit erlangen sollten, hatten sich nach einer Welle von Razzien und Vertreibungsmaßnahmen ihrer bevorstehenden Abschiebung widersetzt. Ihre zentrale Forderung hieß : Papiere für alle - und sie wurde im Lauf des Konflikts von großen Demonstrationen aufgegriffen. Nebenbei bemerkt : Solche Demonstrationen wünschte ich mir auch bein uns, um die neue Bundesregierung anzutreiben, die in ihrem rot-grünen Koalitionspapier im Bereich des Flüchtlings- und Asylrechts zu keiner Bewegung bereit ist.
Zurück nach Frankreich, zurüch zu Madjiguène Cissé und Sans-papiers : Hingerstreik. Am 12/ August 1996, dem 38. Tag des Hungerstreiks, dringt die Polizei in die Kirche St Bernard ein und verschleppt die Streikenden zur Zwangsbehandlung in öffentliche Krankenhäuser. Die ärtzte weigern sich, sie gegen ihre Willen zu behandeln, die Sans-papiers kehren sofort wieder zur Kirche zurück. Eine breite Öffentlichkeit nimmt am Schicksal der Kirchenbesetzer teil : Solidaritätskundgebungen finden statt, Hunderte pilgern zur Kirche, übernachten dortn die Gewerkschaften und die Linksparteien setzen sich für die Sans-papiers ein. Zahlreiche Vereinigungen versprechen, zu ihren Gunsten zu intervenieren, allerdings mit dem Hintergedanken, daß außer diesen dreihundert Fällen keine weiteren dazu kommen sollen.23. August 1996 : Am frühen Morgen beginnt, mit großer Härte und Brutalität, die Räumung, zehn Besetzerinnen und Besetzer werden sofort abgeschoben. Die übrigen etablieren sich als Collectif Saint-Bernard in einem Gewerkschaftshaus im 10. Arrondissement.
Es ist dies eine Aktion, die ermutit hat : Immigrantinnen und Immigranten aus China, der Türkei, aus Kurdistan, dem Maghreb, aus lateinamerikanisch Ländern und Osteuropa haben neue Kollektive der Sans-Papiers gegründet. Eine Sebsthilfeorganisation ist entstanden, die wohl heute zu den politisch wichtigsten sozialen Bewegungen in Europa zählt. Was für die Geschichte osteuropa die polnische Gewerkschaft Solidarnosc war - das könnte für die politische und soziale Geschichte in der EU die Bewegung der Sans-papiers werden. Die konflikte, denen sich die Sans-papiers selbstbewußt stellen, sie stellen sich in ganz Europa.
Geldentwertung wird in Europa mit Argusausgen beobachtet. Rechtsentwertung dagegen wird kaum registriert. Auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechts geht eine Inflation soeben in Hyperinflation über. Flüchtlinge werden ausgegrenzt, auch von der Geltung der Rechtsnormen. Das deutsche Asylrecht ist nicht Teil eines europäischent Verantwortungszusammenhangs, wie der frühere Bundesinnenminster Manfred Kanther behauptet hat, sondern Teil eines europäischen Systems der Unverantwortlichkeit. Jeder wäscht seine Hände in Unschuld. Jeder schiebt den Flüchtling einfach weiter in den nächsten Staat, kümmert sich nicht darum, was dort mit ihm geschieht. Es soll schnell gehen, um jeden Preis, um den Preis der Sorgfalt, um den Preis der Menschlichkeit. Das Kalkül dabei : Das Verfahren soll abschrechen.
Die EU baut den Eisernen Vorhang in anderer Form wieder auf : Gebaut wird eine Mauer aus computertechnik, Bürokratie und mobiler Grenzpolizei. Fremde dürfen nur noch mit einem Visum ins Land, die Möglichkeit, überhaupt einen Asylantrag zu stellen wird ständig erschwert, und die Chance, mit einem Asylantrag Erfolg zu haben, sinkt rapide. Die Mutterländer zerschneiden das Band zu ihren ehemaligen Kolonien, wurden von Europa gedrängt, die postkoloniale Migration zu stoppen. Die Verträge von Schengen und Dublin und Dutzende von Rückübernahmeabkommen lesen sich so ähnlich wie jene Vorschriften der deutschen Justizvollzugsanstalten, in denen geregelt wird, welcher Gefangene wann und wie in welches Gefängnis " verschubt " wird. Entsprechend heißt ein Mensch, der abgeschoben werden soll, " Schübling ".
Die Politik der europäischen Regierungen praktiziert das Sankt-Florians-Prinzip:Alle einschlägigen Anstrengungen der EU und ihrer Nachbarn beziehen sich allein auf die Mechanismen der Flüchtlingsabwehr. Die Welt wird mit einem Netz von Rückübernahmeabkommen überzogen, in dem sich der Flüchtling verfängt und mit dem er dann herausgefischt wird aus dem Milieu, in dem er sich Schutz und Hilfe verspochen hatte. Das System des Flüchtlingsschutzes, aufgebaut in den Jahrzehnten seit dem 2.
Weltkrieg, bricht zusammen. Gleichzeitig feiert man das fünfzigste Jubiläum der Allemeinen Erklärung der Menschenrechte, die vor am 10. Dezember 1948 in Paris verkündet wurde.
Vogelfrei - das war imMittelalter der friedlose Straftäter. Niemand durfte ihn unterstützen, beherbergen, ernähren. Er war aus der Rechts - und Friedensgemeinschaft ausgestoßen und der allgemeinen Verfolgung preisgegeben. Letztmals im Jahr 1698 hat das Reichsgericht zu Welzlar offiziell die Reichsacht verhängt. Heute ist sie wieder da, in modersisierter Form. Verwaltungsbehörden verhängen sie, und sie heißt heute : Ausweisungsbescheid. Er bedeutet : Ausschluß, er bedeutet, der Flüchtling wird " exlex " rechtlos.
Die Politik gegen Asyl und Asylbewerber hat einen Gewöhnungseffekt: Ein Teil der Gesellschaft hat die radikalste Form der Ausgrenzung, nämlich die Ausweisung und Abschiebung, akzeptiert und goutiert, ja gefordert. Auf Abschiebung der Flüchlinge folgt deshalb die Abschiebung der Bettler: Immer mehr Kommunen erlassen " Bettelstatzungen ", um die Bettler aus den Innenstädten zu vertreiben. Nicht die Armut wird bekämpft, sondern Arme werden ausgegrenzt. Ein Teil der Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, daß bestimmte Grundrechte als Luxus zu betrachten sind. Der Staat betrachtet soziale Gerechtigkeit nicht mehr als Gebot, sondern als Zugabe, die man sich nur in besseren Zeiten leisten könne - und die Zeiten seien nun mal leider nicht so.
Die Unerbittlichkeit, die der Staat praktiziert, fordern konservative Politiker auch von den Kirchen. Der frühere Bundesinnenminister Manfred Kanther etwa und sein noch amtierender bayerischer Kollege Beckstein warnten die katholischen und die evangelischen Christen davor, Flüchtlingen, die von Abschiebung bedroht sind, in den Kirchengemeinden Zuflucht zu geben. Un sie verhönten diesen Einsatz mit dem Satz, daß wir das liberalste Asylrecht auf der Welt haben. Wenn Kanther liberal mit gleichgültig übersetzt, dann mag er Recht haben. Die Pfarreien, die Kirchenasyl gewähren, sie geben, was der Staat ihnen verweigert: Schutz und Hilfe in lebensbedrohlicher Situation. Sie nehmen den Flüchtling auf, machen sein Schicksal öffentlich und stellen sich vor ihn in der Auseinandersetzung mit den Behörden. Die Bewegung der Sans-papiers und Madjiguène Cissé sind für die Kirchenasyl-Bewegung in Deutschland wie ein Komet, der nicht verlischt, sondern an leuchtkraft gewinnt.
Die Sans-papiers haben gezeigt, daß Schluß sein muß mit der Heimlichkeit : " Illegale " werden sie in Deutschland genannt, " clandestins " in in Frankreich. " Das klingt wie ein Gespenst ", sagt unsere Preisträgerin, " oder wie jemand, der sich verstecken muß ". Die Sans-papiers haben sich nicht mehr versteckt, sie sind an und in die Öffentlichkeit gegangen.
Sie haben mit dem Regierungswechsel in Frankreich große Hoffnungen verbunden - so wie sie ja auch die Flüchtlingsorganisationenin Deutschland mit dem Regierungswechseln in Bonn verbunden haben. Per Dekret forderte, der neue Innenminister der linken Regierung, Chevenement, alle Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung dazu auf, sich zu melden und ihre Regulariserung zu beantragen. 140 000 sind desem Aufruf gefolgt und aus der Illegalität aufgetaucht. Die Bearbeitungsfrist ist mehrfach verlängert worden, und erst ein Teil der Antragsteller erhielt kurzfristige Aufenthaltsgenehmigungen. Es ist absehbar, daß Zehntausende nache Abschluß des Verfahrens nicht anerkannt sein werden. Während sie in die Illegalität zurüchkfallen, verfügt die Polizei dann über eine umfangreiche Kartei, in der ihre Namen, Anschriften und Arbeitsplätze festgehalten sind. " Die linke Regierung agiert wesentlich schlauer als die rechte. Unser Kampf muß jetzt wieder ganz von vorne beginnen, " so hat Madjiguène Cissé den Stand der Dinge ernüchtert kommentiert.
Viele Mitglieder der neuen französichen Regierung haben früher die Sans-papiers unterstützt, Da war unter der konservativen Regierung. Inzwischen sieht es, wie gesagt, anders aus. " Dieselben, die vorher unsere Plattform unterstützt hatten, finden sie jetzt plötzlich zu radikal ", hat unsere Preisträgerin kürzlich in einem Interview gesagt. Und sie hat uns, Anfang September bei einem Besuch in Tübingen, etwas prophezeit : " Wenn bei euch der Schröder in drei Wochen an die Macht kommt, dann werdet ihr verstehen, was ich meine ". Ich glaube, es sind nicht viele im Saal, die es nicht verstehen.